Hrodna gehört zu den ältesten Städten in Belarus. Es wurde zwischen dem X und XI Jahrhundert gegründet. Hrodna stellt ein einzigartiges Abbild städtischen Kulturerbes in Europa dar, welches durch westeuropäische und auch byzantinische Einflüsse, gepaart mit lokalen Kunsttraditionen, geformt wurde.
Zu den architektonischen Denkmalen der Stadt haben auch fünf Kirchen, die im XII. Jh. errichtet wurden, gehört, deren besondere künstlerische Gestaltung von der Etablierung einer eigengeständigen regionalen Schule des Bauens zu sprechen erlauben. Denkmale bei denen Einflüsse der Gotik, Renaissance und des Barock ineinander fließen.
Über das vielfältige kulturelle Erbe von Hrodna geben auch die Denkmale des Klassizismus, der Moderne, der Neogotik, des Neoklassizismus, des Konstruktivismus und des Neobarock Auskunft. So umfasst das historisch-kulturelle Potential der Stadt mehr als 400 Denkmale aus der Zeit zwischen dem XII. bis Anfang des XX. Jahrhunderts, die sich im historischen Zentrum der Stadt befinden.
Der Zustand der historischen Gebäude, wie auch der Denkmalschutz in Hrodna, verschlechtern sich Jahr für Jahr. Die Stadtregierung hat kein Komplexprogramm für die Restauration des historischen Zentrums, was dem Unverständnis der Rolle des historisch-kulturellen Erbes der Stadt und deren Erhalt geschuldet ist.
In den zwei letzten zwei Jahren hat sich die Situation zur Krise entwickelt, die den Erhalt des historischen Zentrums als einzigartigem historisch-kulturellem Ensemble bedroht.
Der Hauptgrund der derzeitigen Krise ist im zunehmenden Verkehr zu sehen. Der Vorsitzende des Gebietsexekutivkomitees, Uladzimir Sauchanka, und des Stadtexekutivkomitees, Aljaksandr Antonenka, haben in großem Ausmaß Erd- und Bauarbeiten im historischen Zentrum vorangetrieben, die angeblich das Problem der Entwicklung des Transportsystems der Stadt lösen sollen. Diese Arbeiten tragen den klangvollen Namen „Rekonstruktion“. In Wirklichkeit sprechen heute viele Gründe dafür, zu behaupten, dass die so genannte “Rekonstruktion“ den Ruin des historischen Zentrums bedeutet.
Erstens stellen die Erd- und Bauarbeiten einen ernsthaften Verstoß gegen die belarussische Gesetzgebung über den Schutz des historisch-kulturellen Erbes und besonders der archäologischen Kultur dar. Die Methodik der konservativ-restauratorischer Arbeiten wurde nicht eingehalten. Eins der Ergebnisse der „Rekonstruktion“ ist die planmäßige, systematische Vernichtung der Bebauung des historischen Zentrums. In den Jahren 2005 und 2006 wurden mehr als 20 architektonische Denkmale des XIX. und beginnenden XX. Jahrhunderts zerstört, u.a. Denkmale im Stil des Konstruktivismus. Entgegen der ehemaligen Planung wurden auf dem Gebiet des Saweckaj Platzes (ehemaliger Markt) zahlreiche archäologische Schichten des XIV. – XVIII. Jahrhunderts vernichtet.
Zweitens hat die Stadtregierung - entgegen dem Generalplan der Stadt (2003), der eine verkehrberuhigte bzw. Fußgängerzone im Stadtzentrum vorsah - 2006 durch das Herz der Stadt, ihr historisches Zentrum, eine vierspurige Verkehrsrute gebaut. Dabei wurden komplett oder teilweise archäologische Schichten vernichtet, darunter zahlreiche Fundamente des XVI. bis XVIII. Jahrhunderts. Archäologische Arbeiten wurden nur nach dem Eingreifen des Kulturministeriums begonnen, betreffen jedoch nur geringe Teile des Territoriums bereits begonnener Baumaßnahmen. Die Fundamente des Rathauses und des Adelspalastes der Radziwillen konnten nur Dank der Aufopferung der Jugend, die diese mit ihren eigenen Körpern verdeckt hatten, gerettet werden.
Drittens hat die Stadt- und Gebietsregierung Pläne, eine Umgehungsstraße durch das Stadtzentrum zu bauen!? Der Weg wird entlang dem alten jüdischen Friedhof aus dem XVI. Jahrhundert, neben der alten Synagoge, dem Königsschloss und dem Neuen Königspalast, dem Platz der letzten Sojm der Rzech Paspalita (1793) und dem ehemaligen basylianischen Kloster des XVIII. Jahrhunderts, entlangführen. Die Folgen des erhöhten Verkehrsflusses sind einfach vorauszusehen: Degradierung des historisch-kulturellen Schlosskomplexes und Vernichtung der historisch-kulturellen Landschaft.
Viertens wurden alle alternativen Lösungen des Verkehrsproblems, die durch die Stadtbevölkerung vorgeschlagen worden sind - welche zu einer Verkehrsberuhigung des Stadtzentrums beitragen sollten - von der Stadtregierung nicht in Betracht gezogen. Auf die Versuche von Intellektuellen der Stadt, einen Dialog, mit dem Ziel eine optimale Lösung des Verkehrsproblems zu erarbeiten und das einzigartige historisch-kulturelle Ensemble der Stadt Hrodna zu erhalten, hat die Regierung mit dem Einsatz von Miliz, administrativem Druck und Diskreditierung alternativer Projekte und Ansichten in den offiziellen Massenmedien, geantwortet.
Fünftens plant die Regierung schon in diesem Jahr die “Rekonstruktion“ der Kalozhskaja (Barysaglebskaja) Kirche des XII. Jahrhunderts zu beginnen. Die Bevölkerung der Stadt ist von diesen Plänen in höchstem Maße beunruhigt. In Anbetracht der Ergebnisse der bereits durchgeführten „Rekonstruktion“, kann man die Einsicht äußern, dass dem einzigartigen Denkmal des mittelalterlichen Bauens ernsthafte Gefahr droht.
Wir schlagen die breite öffentliche Besprechung aller Projekte der “Rekonstruktion”, unter Einbeziehung unabhängiger Experten aus dem In- wie auch dem Europäischen Ausland - die reiche Erfahrungen um den Erhalt kulturellen Erbes besitzen - vor.
Ausgehend von rechtlichen Verpflichtungen, die in Belarus zum Schutz des historisch-kulturellen Erbes als integralem Bestandteil des gemeinsamen europäischen Erbes (besonders Komplexe der Bebauung europäischer Städte) bestehen, und auch unter Berücksichtigung des hohen Grades des Erhalts architektonischer Denkmale sowie der relativen Ganzheit der Baustruktur der Stadt Hrodna, wenden wir uns an die europäische Öffentlichkeit mit der Bitte, Hilfe beim Erhalt des historisch-kulturellen Ensembles der altertümlichen Stadt zu leisten.
Juri Gardziejeu
Ales’ Smaljanchuk
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Kategorie: Grodno heute
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Veröffentlicht: 30. Mai 2007